Problem
Ein verwaistes Werk ist ein urheberrechtlich geschütztes Werk, dessen Rechteinhaber für die Zustimmung zu einer Nutzung nicht identifizierbar oder lokalisierbar sind. Audiovisuelle Archive sind in besonderem Maße von der Problematik der verwaisten Werke betroffen. Einer Umfrage der Association des Cinémathèques Européennes (ACE) im Jahr 2005 zufolge, an der sich 23 europäische Filmarchive beteiligten, gelten allein in diesen Archiven rund 50.000 Filmwerke, vornehmlich nicht-fiktionales Material vor 1950, als verwaist (Dillmann,Claudia: European Digital Libraries Initiative: The Stakeholders’s Perspectives. Brussels, 14 September 2007 . Das heißt: Diese Werke sind jeglicher Nutzung entzogen und drohen unserem kulturellen Bewusstsein verloren zu gehen.
Ziel
Auch die Partnerinstitutionen des Netzwerks Mediatheken – sämtlich öffentlich geförderte, nicht kommerzielle Einrichtungen mit kulturellem Auftrag – sind in vielfältiger Weise mit dem Problem konfrontiert. Zum einen verfügen sie über zahlreiche, zum Teil einmalige audiovisuelle Dokumente, deren Rechteinhaber nicht zu ermitteln sind. Weiterhin stoßen die Kulturinstitutionen bei Medienrecherchen für ihre Projekte auf „verwaiste Werke“ und können sie aus Gründen des Urheberrechts bzw. verwandter Leistungsschutzrechte nicht für ihre kulturell hochwertigen Produkte und Serviceleistungen verwenden. Ziel des Netzwerks Mediatheken ist es, auf das Problem der „verwaisten Werke“ aufmerksam zu machen und eine notwendige gesetzliche Regelung dafür zu erreichen, um Rechtssicherheit für die Nutzung zu schaffen.
Lösungsansatz
Hierzu stellt das Netzwerk Mediatheken folgende Überlegungen zum Umgang mit „verwaisten Werken“ an:
1. Begriffsdefinition
Eindeutig zu definieren ist, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit ein Werk als „verwaist“ zu betrachten ist. Diese Definition ist rechtlich festzuschreiben.
2. Prüfungsaufwand und -verfahren
Beabsichtigt eine Institution die Nutzung eines „verwaisten Werkes“, so ist von ihr nachzuweisen, dass die Klärung der Urheber- und Leistungsschutzrechte trotz umfassender Recherchen nicht herbeigeführt werden konnte. Der Aufwand der zu tätigenden Recherchen bzw. einzelne Prüfkriterien sind rechtsverbindlich festzuschreiben. Hilfreich für die Unterstützung der notwendigen Prüfungen wäre eine noch zu schaffende „Koordinierungsstelle“. Dort wären alle relevanten Daten über „verwaiste Werke“ zu sammeln und vorzuhalten. Eine Nutzung „verwaister Werke“ ohne Beteiligung der Koordinierungsstelle ist unzulässig. Anzustreben ist hierbei eine enge Zusammenarbeit mit den Verwertungsgesellschaften.
3. Fonds – Abgeltung von Nutzungen
Konnte für ein „verwaistes Werk“ nach den festgelegten Kriterien keine Rechteklärung herbeigeführt werden und möchte die Institution das Werk aber dennoch nutzen, so ist folgendermaßen vorzugehen:
Die Institution zahlt eine Gebühr in angemessener Höhe in einen treuhänderischen Fonds ein. Die Institution erhält dafür ein nichtausschließliches Nutzungsrecht.
Machen Rechteinhaber innerhalb einer Frist von fünf Jahren ihre Ansprüche geltend, erhalten sie aus dem Fonds die eingezahlten Gebühren, abzüglich eventuell entstehender Verwaltungskosten.
Die Einzelheiten einer zukünftigen Nutzung sind dann mit den jetzt bekannten Rechteinhabern neu zu verhandeln.
Machen Rechteinhaber innerhalb der benannten Frist ihre Ansprüche nicht geltend, so fließen die in den Fonds eingezahlten Gebühren an die Kulturinstitution abzüglich der für die Unterhaltung der Koordinierungsstelle notwendigen Verwaltungskosten zurück. Die Rechteinhaber können rückwirkend keine Ansprüche mehr geltend machen.
4. Kommerzielle Nutzung
Bei der kommerziellen Nutzung „verwaister Werke“ dienen die gezahlten Gebühren zur Finanzierung der Koordinierungsstelle und zur Erhaltung des audiovisuellen Erbes.
AG „Urheberrecht“ des Netzwerks Mediatheken:
Frau Claudia Dillmann
Frau Dr. Beate Engelbrecht
Herr Dr. Hans Peter Jäger
Herr Dr. Paul Klimpel
Herr Dr. Dietmar Preißler
29. Oktober 2007